Lebensgeschichte der Anna Schaumberger

Lebensgeschichte der Anna Schaumberger.

Vorwort
Zwei Gemeinden im Bezirk Freistadt spielten im Leben meiner Großmutter Johanna Schaumberger geb. Etzlstorfer eine besondere Rolle. Sie kam in Windhaag bei Freistadt zur Welt und lebte dann bis zu ihrem Tod in Kerschbaum. Das Dorf Kerschbaum gehört zur Marktgemeinde und Pfarre Rainbach im Mühlkreis. Durch Rainbach und über den Kerschbaumer Sattel führte ein Jahrhunderte alter Handelsweg vom Donauraum nach Norden. Auch für die Pferdeeisenbahn war in Kerschbaum ein wichtiger (1) Scheitelbahnhof. Für Johanna Schaumberger geb. Etzlstorfer war es die Heimat. Sie wohnte mit meinen Eltern und Geschwistern in Kerschbaum Nr. 56. Während meine Eltern die Feld- und Stallarbeit verrichteten, betreute Oma uns sechs Kinder. So konnte ich schon als Kind gespannt den Geschichten, die meine Oma uns erzählte, lauschen. Es waren Begebenheiten aus ihrer Kindheit und Erlebnisse mit ihren Kindern. So machte sie das Weinen ihrer Mutter um ein verstorbenes Kind sehr betroffen. Sie fragte sie: „Wäre es dir lieber gewesen ich wäre gestorben?“ Ihre Mutter nahm sie in die Arme und sagte ihr: „Um dich weinte ich genau so viel.“ Aber auch an Aussagen wie: „Zuerst kommen alle anderen, dann kommt lange nichts und dann erst ich selbst“ erinnere ich mich. Für mich stellte sich die Frage: „Wie hoch war der Stellenwert der Frauen in der damaligen Gesellschaft?“ Ihre Lebensgeschichte wurde mir immer wichtiger und das Umfeld das sie geprägt hatte. So habe ich versucht Erinnerungen und geschichtliche Begebenheiten zu verknüpfen. Ich wandte mich an meine Eltern, Onkel und Tanten, die mir viele Ereignisse erzählten. Zugleich suchte ich in Pfarrarchiven, Gerichtsarchiven und im Oberösterreichischen Landesarchiv nach Eintragungen. Einiges wurde mir klarer aber über vieles kann ich nur Vermutungen anstellen.

Die kurze Kindheit von Johanna Etzlstorfer
Die ersten Spuren von Johanna Etzlstorfer fanden sich in Windhaag bei Freistadt. Die Marktgemeinde zählte 1749 Einwohnern im Jahre 1900 (2) und liegt ca. 14 km nördlich von Freistadt. Das neue Jahrhundert war erst ein paar Monate alt, als Johanna Etzlstorfer am 4. Mai 1900 um 2 Uhr morgens zur Welt kam. Für ihre Mutter Johanna Etzlstorfer geb. Schimböck war es bereits das sechste Kind. Der Vater Johann Etzlstorfer und die geprüfte Hebamme Albine Zeman gingen mit dem Neugeborenen eine halbe Stunde von Riemetschlag Nr. 28 bis zur Kirche nach Windhaag bei Freistadt. Dort trafen sie sich mit der Taufpatin Theresia Horner, einer Bäuerin aus Spörbichl. So wurde acht Stunden nach der Geburt das Kind von Pfarrer Johann Derflinger getauft (3). Der zweijährige Franz (4) und der vierjährige Alois Etzlstorfer (5) hatten dieselben Eltern. Die Witwe Johanna Schaufler geb. Schimböck und Johann Etzlstorfer hatten sich am 13. Mai 1895 in Windhaag bei Freistadt trauen lassen (6). Für die Braut war es die zweite Ehe (7), da ihr erster Mann Mathias Schaufler mit 56 Jahren vor acht Monaten verstorben war (8). Aus dieser Verbindung stammten auch der neunjährige Josef (9), der achtjährige Mathias (10) und der sechsjährige Johannes Schaufler (11). Für den 32 jährigen Steinmetz und Familienvater Johann Etzlstorfer war es sicher nicht einfach, den Lebensunterhalt für die sechs Kinder sicherzustellen. Mit der Geburt von Sohn Michael am 18. Dezember 1902 wurde die Situation auch nicht einfacher (12). Daher mussten die Kinder schon sehr früh ihren Teil zur Versorgung der Familie beitragen. Sie konnten ihrer Schulpflicht nicht immer nachkommen. Sie sollten die Volksschule in Windhaag bei Freistadt besuchen. Es fehlte wahrscheinlich am nötigen Schulgeld und sie mussten Arbeiten bei den Bauern übernehmen. Es könnte auch der weite Schulweg für nur 2 bis 3 Unterrichtsstunden in einem notdürftig beheizten Raum mit bis zu 100 Schülern ein möglicher Grund für das Fernbleiben gewesen sein (10).

Jugendzeit im Haus der Verwandten
Es war auch zu dieser Zeit üblich die Kinder bei Verwandten oder wohlhabenden Bauern
als Kinderdiern (=Kindermagd), Viehhirten oder Hausmägde unterzubringen. Johann Etzlstorfer hatte eine verheiratete, kinderlose Schwester, die gerne eines seiner Kinder bei sich aufnahm. Die Schwester Maria Traxler geb. Etzlstorfer (14) war seit 19. Mai 1896 mit Alois Traxler verheiratet (15). Josef Traxler hatte die Liegenschaft in Kerschbaum Nr. 56 seinem Sohn Alois und dessen Braut Maria Etzlstorfer zu gleichen Teilen übergeben. Zum Bauerngut gehörten etwas mehr als 9 Joch Grund (16). Als Anreiz für das Kommen stellten sie ihr Anwesen als Erbe in Aussicht. Ein Kind konnte sich das Haus verdienen. Zuerst versuchte es Franz Etzlstorfer bei seiner Tante und Onkel in Kerschbaum, aber das Heimweh war viel zu groß. Da bekam die zehnjährige Johanna Etzlstorfer ihre Chance und übersiedelte nach Kerschbaum. Die folgenden zwei Jahre besuchte sie die vier Kilometer entfernte Volksschule in Rainbach i.M. (17). Anschließend ging sie noch in die sogenannte Sonntagsschule. Der Unterricht war donnerstags und sonntags jeweils einige Stunden und diente der Wiederholung des Volksschulstoffes und des Religionsunterrichtes (18). Einmal wurde Johanna Etzlstorfer wegen Zahnschmerzen früher von der Schule heimgeschickt. Um eventuellen zusätzlichen Arbeiten zu entgehen, ließ sie sich viel Zeit am Heimweg. Sie setzte sich immer wieder nieder und wartete. Leider beobachte ihre Tante sie und holte sie heim. Eine ordentliche Strafe blieb ihr nicht erspart.

Johanna Etzlstorfer durfte ihre Eltern nur seltenen besuchen und dann fiel ihr der Weg von Riemetschlag zurück nach Kerschbaum besonders schwer. Sie schaute sich immer wieder um, bis ihr Elternhaus nicht mehr zu sehen war (19). Auch der Hunger war ein ständiger Begleiter von Johanna Etzlstorfer. Es gab einen Apfelbaum beim Haus ihrer Tante mit ganz kleinen, sauren Äpfel von denen aß sie oft heimlich einige. Vom Schweinefutter nahm sie manchmal die gekochten Kartoffeln, wenn sie besonders hungrig war. Ihre Tante durfte sie dabei nicht erwischen, sonst wurde sie bestraft (20). Nicht nur die Bewohner des Hauses hungerten, sondern auch die Tiere. Eines Tages stand eine Kuh nicht mehr auf. Besorgt holten sie einen Nachbarn, der auch von der Tiermedizin etwas verstand. Er schaute die Kuh an und sagte dann: „Gebt ihr etwas zum Fressen, dann steht sie schon wieder auf“. Dies war aber kein Einzelfall in der Gemeinde Rainbach i.M.. Es musste 1916 die Suppenküche für arme Schulkinder gesperrt werden. 28 Jahre hatte Frau Barth für arme Schulkinder mit ihren Schwestern Rosi und Nani in selbstloser Weise gesorgt. Es fehlten Mehl und Fett, um die schmackhafte Einbrennsuppe zu kochen (21). So zeigte der Erste Weltkrieg eine weitere Auswirkung auf das ländliche Gebiet. Fehlten doch seit Juli 1914 viele Männer in den Kirchenbänken. Auf den Feldern arbeiteten nur mehr Kinder, Frauen und alte Menschen. Auch die Pferde und teilweise Hunde wurden zum Kriegsdienst herangezogen. Öffentliche Gebäude, Eisenbahnen, Brücken usw. wurden aus Angst vor ausländischen Anschlägen bewacht. Heimische Zivilpersonen bewachten die Telefonleitung längs der Reichsstraße Tag und Nacht. Anfangs stand fast bei jeder Stange ein Mann, dann etwas weiter entfernt, zuletzt zwei bewaffnete, besoldete Wanderer. Sie trafen sich regelmäßig mit den nächsten Posten (22). Selbstversorger hatten es noch etwas leichter als jene Familien, die alle Grundnahrungsmittel kaufen mussten. Viele Lebensmittel waren kaum mehr erhältlich. Dem Brotmehl wurden Mais oder Baumrinde beigemengt. Es gab Eier-, Milch-, Fettersatz und Kaffee bestand aus Rübenmehl. Nach einer außerordentlicher schlechter Ernte 1917 wurde die Brotration von 200g auf 165 Gramm pro Tag herabgesetzt (23). Zwei oder drei Tage waren „fleischlos“ oder auch „fettlos“. Verstöße wurden mit hohen Geldstrafen geahndet. Kein Garten, Feld und Keller war vor einer Plünderung sicher. Trotz der schwierigen Lage folgten die Frauen der Pfarre dem Aufruf des katholischen Frauenkomitees und nahmen jeden Sonntag ein Ei in die Kirche mit. Die Eier wurden in den Reserve- Spitäler in Linz dringend gebraucht. Die Schulkinder wurden von Haus zu Haus geschickt um Zinn, Zink, Kupfer oder Wolle zu sammeln. Gegen Ende des Krieges wurden die kupfernen Wasserschiffe beim Ofen beschlagnahmt, obwohl der Abtransport nicht mehr möglich war. Traf die Nachricht vom Heldentod eines Pfarrangehörigen ein, so wurde eine Trauerfeier gehalten. Wie bei einem wirklichen Begräbnis zogen die Leidtragenden betend vom Trauerhaus zur Kirche. Begleitet wurden sie vom Veteranenbund mit seiner Fahne und der Musik oder auch der Feuerwehr oder dem Jünglingsbund mit seiner Fahne. Trotz Kriegsnot und Verbot gab man ein einfaches Totenmahl für die Verwandten und Freunde. Trauerbilder, meist auch mit dem Bild der Kriegsopfer, kamen in großer Menge zur Verteilung. Es gab in der Gemeinde Rainbach i.M. 77 Gefallene und Vermisste (24). Mit Ende des ersten Weltkrieges kam auch das Ende der Monarchie. Zurückgeblieben waren chaotische Zustände, Not und Geldentwertung. Die Landesgrenze nach Böhmen, die ein beachtliches Stück auch die Gemeindegrenze von Rainbach bildete, war bisher eine unbedeutende Grenze auf der Landkarte. In der Praxis lebten die Menschen diesseits und jenseits dieser Grenze in guter Nachbarschaft. Plötzlich war das Grenzgebiet eine spannungsgeladene Zone. Der Böhmerwaldgau kam zur Tschechoslowakei und aus der bisherigen Landesgrenze, die inzwischen Zollgrenze geworden war, wurde im Norden die oberösterreichische Staatsgrenze. Die Kinder von Zulissen, einem Dorf der Gemeinde Rainbach i.M., die in die nahegelegene Schule von Oberhaid in der Tschechoslowakei gingen, mussten nun den weiten Weg nach Rainbach machen. Wollte man Verwandte besuchen, musste man jetzt eine Staatsgrenze überqueren (25). Auch der viel besuchte Wallfahrtsort Maria Schnee lag auf einmal im Nachbarstaat.

Ehefrau und Mutter
Johanna Etzlstorfer war zu einer jungen Frau herangewachsen, die sich auch bei anderen Bauern als Magd verdiente. Während ihrer Abwesendheit vertrat sie jeweils einer ihrer Brüder in Kerschbaum bei den Verwandten. Sie lernte in Grünbach den aus Sandl stammenden Johann Jobst kennen und lieben. Sie ließen sich 1925 in der Pfarrkirche von Windhaag bei Freistadt trauen (26). Das junge Paar zog bei ihren Verwandten in Kerschbaum Nr. 56 ein. Das Zusammenleben mit der Tante Maria Traxler geb. Etzlstorfer wurde immer schwieriger. Sie nahm den frisch Verheirateten sogar das Brot aus der Tischlade weg. Als die Streitereien kaum mehr zu ertragen waren, bezog Johanna Jobst geb. Etzlstorfer mit ihrem Gatten ein Zimmer in Kerschbaum Nr. 3. Sie arbeitete aber weiter für ihre Tante (27).

Hier auszugsweise veröffentlicht mit Erlaubnis der Verfasserin: Rosina Doppler (geb.1957), Dürnau 14, Goldwörth (Tochter der Anna Schaumberger)

Die ganze Geschichte findet man unter
ooegeschichte.at/fileadmin/media/migrated/bibliografiedb/lebensgeschichte_johanna_schaumberger.pdf

Kerschbaum
1910
Verfasser

Rosina Doppler (geb.1957),
Dürnau 14, Goldwörth
(Tochter der Anna Schaumberger)

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