Kirchgang von Zulissen nach Rainbach.
„In jener Zeit ...“ werden in der Pfarrkirche noch drei (!) Gottesdienste gefeiert: um 6:30 Uhr die Frühmesse, um 8 Uhr das „Amt“ und um 9:30 Uhr die „Hoiwa-Zehne-Mess“. Meine Eltern, die aus Zeitgründen meist die Frühmesse oder das Amt um 9:30 Uhr besuchen, nehmen Rücksicht auf mich und so brauche ich erst in die „Hoiwa-Zehne-Mess“ zu gehen.
Einer, der ebenfalls gern (?) in diesen Gottesdienst geht, ist der „Oide Moasta am Kollern“, ein untersetzter, kleiner Mann mit einem typisch „schlapfenden“ Gang, schnarrender Stimme, Oberlippenbärtchen, Eierkopf und Vollglatze. Nachdem er „am Kollern“ wohnt, führt ihn sein Kirchgang an unserem Haus vorbei und meine Eltern vertrauen mich ihm an: „Geh, Moasta, nimm unsan Buam mit in d’ Kircha!“ So ziehen wir los: der alte Mann und der noch nicht zehnjährige Bub.
Unser Kirchweg führt uns durch die Pirau, ein etwa 1 km langes Waldstück zwischen Zulissen und Rainbach. Gemächlich traben wir dahin, denn eins kennt der „Oide Moasta“ nicht: Eile.
Es ist Frühsommer, der Wald ist voll von Vogelstimmen. Hin und wieder taucht eines dieser Tiere in unmittelbarer Nähe von uns auf und lässt sich auf einem Zweig nieder. Der „Oide Moasta“ erblickt es, bleibt stehen und flüstert mir zu: „Du, schau, wos is des fia a Vogei?“ Einige kenne ich, aber nicht alle. Wir betrachten es so lange, bis es weiterfliegt und setzen unseren Kirchgang fort bis zum nächsten „Vogei“. Aber auch die Zeit schreitet fort!
Eine Richtzeit, um rechtzeitig zur Kirche zu kommen ist das „Viertelläuten“ bei der Hörschläger-Brücke der alten Pferdeeisenbahn. Wir beide befinden uns aber erst beim „Pirauwachter“, einem Bahnwärterhäuschen an der Bahnlinie Summerau – Böhmisch-Hörschlag und haben daher noch etwa eine halbe Gehstunde vor uns. Es ist daher unmöglich, noch rechtzeitig zum Gottesdienst zu kommen – so kommen wir halt zu spät. Ich habe keine Gewissensbisse, denn erstens haben mich meine Eltern dem „Oidn Moasta“ anvertraut, es wäre absolut unhöflich gewesen ihn zu schnellerem Gehen aufzufordern und zweitens war er es, der immer wieder Vogelbeobachtungen angestellt hat.
Wir kommen natürlich viel zu spät, schleichen uns hinten beim Turmeingang in die Kirche hinein und zwängen uns in einen der hintersten Stühle, während von der Kanzel herunter der Herr Pfarrer Ennsgraber mit Donnerstimme den schweigenden Gläubigen den Sinn und Inhalt des Evangeliums nahe bringt.
Dafür sind wir fast die ersten, die nach dem Gottesdienst die Kirche verlassen. Heimzu geht es immer schneller, denn da schließe ich mich anderen Zulissern an und es geht ja schließlich heimzu – dem Mittagessen entgegen!
Der „Oide Moasta“ hingegen schlapft allein in aller Ruhe in Richtung Deutsch-Hörschlag zum Wirt, kommt erst in den späteren Nachmittagsstunden zum Wirt nach Zulissen und tritt meist erst in der Dunkelheit den Weg nach Hause in Richtung „Kollern“ an.