Für Zulisser war es früher nicht so einfach, eine Hauptschule oder das Gymnasium zu besuchen

Für Zulisser war es früher nicht so einfach, eine Hauptschule oder das Gymnasium zu besuchen.

Das Schuljahr 1958 neigt sich dem Ende zu und damit auch meine Zeit an der Volksschule Zulissen. Vater hat mich wegen meiner guten Schulleistungen an der Öffentlichen Hauptschule in Freistadt angemeldet. „Probier’n mas, waunnst es net schoffst, muasst holt wieder in d’ Volksschui z’ruck“, ist die Meinung meiner Eltern. Da erfahre ich, dass auch mein Schulfreund Ernst Duschlbauer für den Schulbesuch in Freistadt angemeldet worden ist – allerding im „Marianum“. Somit sind wir nun zwei von den neun, die die Volksschule Zulissen in Richtung Freistadt verlassen.

Das Zeugnis der 4. Klasse der VS Zulissen bekommt einige Tränen ab: bisher habe ich immer lauter Einser gehabt, nur jetzt steht zum ersten Mal eine Zwei in „Deutsche Unterrichtssprache“ hier. Vielleicht ist es eine „Vorsichtsmaßnahme“ unseres Herrn Oberlehrers für den Fall, dass ich den Anforderungen der Hauptschule doch nicht genügen würde. Aber auch der Zweier ist zu verschmerzen.

Vater kauft mir in den Ferien ein Fahrrad für die künftigen Fahrten nach Rainbach: ein grünes Puch-Junior Herrenrad, allerdings ohne die gewünschte Dreigangschaltung. Macht nichts, denn auch der Ernst hat nur ein „normales“ Fahrrad. Noch in den Ferien fahren Vater und ich nach Freistadt, um für mich einen Postbus-Ausweis und eine Wochenkarte zu besorgen, Vater zeigt mir auch den Ort der künftigen Schule und so harre ich den letzten Ferientagen entgegen.

Montag, 8. September 1958 – erster Schultag in Freistadt. Sorgfältig haben wir schon in den vergangenen Tagen ausgetüftelt, wann wir wegfahren müssen, um ja nicht den Postbus in Rainbach zu versäumen. Nun geht’s per Rad los: unser künftiger täglicher Weg führt uns auf dem alten Kirchensteig durch den Pirau-Wald zur „Alten Bahn“, der steinernen Brücke über die ehemalige Pferdeeisenbahn-Trasse und von dort zur Bundesstraße nach Rainbach. Die Fahrräder stellen wir beim „Wagner“ – der Familie Stumvoll – unter.
Dann die erste Fahrt mit dem Postbus: es ist dies ein alter, postgelb lackierter Saurer-Bus mit einer langen Schnauze und einem überdimensionalen 4-Speichen-Lenkrad. Wir erfahren auch sehr bald, wer im Postautobus das Sagen hat. Es ist dies ein untersetzter, finster dreinblickender Mann mit „Hitlerbart“, dessen Name uns immer in Erinnerung bleiben wird: Josef Satzinger. Zugegeben – die bravsten sind wir nicht, so schlimm sind wir aber auch nicht, dass er uns schon bei der ersten Fahrt „die Leviten lesen“ muss.

In Freistadt führt mich mein Schulweg vom Hauptplatz durch die Dechantgasse, das Linzer Tor, die Zemannstraße bis zur Johanniskirche und dann wieder ein Stück in Richtung Kaserne zurück. Die Schule ist in diesem Jahr zum letzten Mal in einem Bundesheergebäude an der Linzer Straße untergebracht.
Was mir als erstes auffällt ist die Vielzahl an Lehrern: Herr Oskar Hassak ist mein Klassenvorstand und unterrichtet Deutsch, Englisch, Geschichte, Erdkunde, Zeichnen, Schreiben und Leibesübungen – er wird später von 1984 – 1988 mein Direktor in Rainbach sein. Herr Hermann Umdasch unterrichtet Mathematik und Handarbeit – auch er wird später von 1972 bis 1983 mein Direktor in Rainbach sein. Herr Wilhelm Powischer bringt uns Naturgeschichte bei, in Musik und Chorgesang haben wir Herrn Franz Tomschi und Herr Johannes Resch unterrichtet uns in Religion.

Nach dem Unterricht läuft der „Heimweg“ in umgekehrter Richtung ab: Schule – Johanniskirche – Hauptplatz – mit dem Postbus durch die Böhmergasse nach Rainbach – mit dem Fahrrad durch die Pirau nach Hause.

Öfter als einmal müssen wir unseren Schulweg bei strömendem Regen, hin und wieder sogar während eines Gewitters zurücklegen. Für solche Fälle ist meist vorgesorgt: wir ziehen zum Radfahren Gummistiefel an, eine Pelerine schützt uns gegen den Regen, die Schuhe werden in Plastiktaschen eingewickelt und zusammen mit der Schultasche in den „Packlträger“ geklemmt. Ein Zuhause-Bleiben wegen Schlechtwetters gibt es normalerweise nicht.

Das Kalenderjahr 1958 neigt sich langsam dem Ende zu und wir treffen Vorkehrungen für die Wintermonate: Ernst bleibt bei seinem Onkel, dem „Gangl“ in Vierzehn, ich verbringe die Winterwochen bei meinen Großeltern in Kerschbaum. Wir beide kommen nur noch zum Wochenende nach Hause. An den Samstagen nachmittag – wir haben noch Samstagunterricht – gehen wir, beladen mit unseren Schultaschen, zu Fuß den etwa einstündigen Weg durch die Pirau nach Zulissen.

Eines Samstags kommt Ernst schon krank mit Fieber zum Postbus und hat nun noch den Weg durch den Schnee nach Zulissen vor sich. Immer wieder jammert er, wie schlecht es ihm geht und ich rede ihm gut zu. So erreichen wir das „Pirauwächter-Häusl“ an der Bahnlinie, in dem zu dieser Zeit noch zwei alte Leute wohnen. Wir bitten Frau Glasner, die „Pirauwächterin“, sie möge dem Ernst einen Tee herrichten. Nachdem er den Tee getrunken hat, fühlt er sich besser, wir danken und setzen unseren Weg fort. Langsam beginnt es zu dunkeln, wir sind noch mitten in der Pirau und Ernst beginnt wieder zu jammern. So nehme ich ihm seine Schultasche ab, um ihm das Gehen zu erleichtern. Immer wieder möchte er sich hinsetzen, aber ich lasse das nicht zu. Knapp vor dem Ende des Pirauwaldes kommt uns dann mein Vater entgegen – unsere Eltern haben sich schon Sorgen gemacht, weil wir nicht heimkommen. Ernst verbringt die kommende Woche mit Grippe zu Hause.

Zulissen
1950-1959
Verfasser

Hubert Kolberger (1948-2023)
Summerauer Straße 29
4261 Rainbach i. M.

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