Das Ende des Prager Frühlings

Das Ende des Prager Frühlings.

In der Nacht vom 20. auf 21. August 1968 hatte ich als Zollwache-Revisor an der österreich-tschechischen Staatsgrenze Grenzüberwachungsdienst zu verrichten. Um zirka 01:30 Uhr Früh hörte ich Geräusche von schweren Transportflugzeugen. Das war für mich unüblich und meldete das deshalb per Funk an die Leitstelle. Dort quittierte man meinen Funkspruch als unwichtig. Um ca. 04.00 Uhr hörte ich aus weiter Ferne ein Surren von Motorgeräuschen und ein Rasseln, das sich wie das von Panzerketten anhörte. Das kannte ich, da ich beim Bundesheer bei den Panzern diente. Ich meldete auch dies. Mein Funkspruch wurde auch wieder damit abgetan, dass es sich wahrscheinlich um eine übliche Großübung handeln dürfte. Mein Dienst endete um fünf Uhr Früh. Schon um sechs Uhr weckte mich mein Chef und teilte mir mit, dass die Russen in die Tschechoslowakei einmarschiert seien und ab sofort nach dem „Alarmplan Rot“ vorzugehen ist. Das hieß, dass ich mich sofort in den Dienst stellen musste. Außerdem wurde Bereitschaft rund um die Uhr angeordnet und das Verlassen des Standortes war verboten. Um Mittag trafen Kollegen der Zollwache aus dem Innviertel - also von der Deutschen Grenze - zur Verstärkung ein und in den Nachmittagsstunden kamen die Kollegen von der Gendarmerie zur gemeinsamen Grenzüberwachung dazu. Diese Überwachungsmaßnahmen erfolgten mit Maschinenpistole, Gewehr, Pistole, Funk und Fernglas. Der Auftrag lautete: „Beobachten, Melden!“ In Sichtweite war ein Panzer auf Tschechischem Grenzgebiet aufgestellt. Über die grüne Grenze kamen vereinzelt Flüchtlinge.

Durch die dienstlichen Nachrichten und durch die Berichterstattungen in den Medien erfuhr man nach und nach von den Ereignissen im Nachbarland CSSR. z.B. sollen eine halbe Million Soldaten aus der Sowjetunion, Polen, Ungarn und Bulgarien die CSSR okkupieren und dass zwei Divisionen der DDR-Volksarmee an der Grenze zur Einreise bereit stehen. Als Folge der Besetzung der CSSR durch Truppen des Warschauer Paktes flüchteten 96.000 tschechische Staatsbürger nach Österreich und 66.000 kehrten vom Urlaub in Österreich nicht mehr in die CSSR zurück. Dubcek, der dem Kommunismus ein menschliches Gesicht geben wollte, wurde festgenommen und nach Moskau gebracht. Unter Marschall Jakubowski, dem Oberkommandeur der Warschauer Pakt – Staaten, lief die Okkupation unter dem Decknamen „Donau“. Das ließ befürchten, dass die gewünschte Grenze je nach Verlauf der Okkupation die Donau sein oder sogar die Adria im Titoland zu erreichen sollte. Tito war ja zu dieser Zeit bei den Russen in Ungnade gefallen. Auf sowjetischen Schleppschiffen, die zwischen Wien und Linz lagen, befanden sich Waffen, Panzerersatzteile und anderes Kriegsmaterial. In den Zollfreilagern wurden 1000 Tonnen Fleisch als mögliche Verpflegung für Invasionstruppen eingelagert. Wie man später nachlesen konnte, hat der damals amtierende Staatschef der Sowjetunion Leonid Iljitsch Breschnew das Vorhaben von Marschall Jakubowski , Österreich und Jugoslawien zu okkupieren, gestoppt.

Unter dem Deckmantel „Marschmusik für Glockenspiel“ wurde das österreichische Bundesheer alarmiert und drei Brigaden in Bereitstellung gehalten. Österreich war gezwungen, sich wegen des Neutralitätsgesetzes und des Staatsvertrages 1955 neutral zu verhalten. Es wurde jede Provokation vermieden und so wurde das Bundesheer nicht knapp an die Österr.tschechische Grenze geschickt, sondern postierte sich zirka 30 km hinter der Staatsgrenze. Zahlreiche Aufklärungsflüge der sowjetischen Luftstreitkräfte über österreichischem Hoheitsgebiet wurden ständig beobachtet und wurden von den Grenzstationen gemeldet. Dem sowjetischen Botschafter in Österreich wurden Protestnoten über die Luftraumverletzungen überreicht. Am 23. August 1968 wurden zur Markierung des Grenzverlaufes Fähnchen in rot-weiß-rot gesteckt, damit sich Flüchtlinge leichter orientieren konnten. Die meisten Flüchtlinge nahmen den Weg über die Zollstraßen bzw. Zollämter. Nur einige Soldaten kamen über die sogenannte „Grüne Grenze“. Sie war ja mit dem Stacheldraht gesichert. Die vor dieser Zeit eher wenigen Kontakte mit den Tschechischen Grenzstreifbeamten gab es dann auch nicht mehr. Es wurden fremde Soldaten bei den Grenzpatrouillen gesehen. Ein Kontakt kam nicht zu Stande. Bis Jahresende wurde die erhöhte Bereitschaft aufrecht erhalten. Erst dann kehrte für mich wieder ein normaler Alltag in meine Dienstzeit zurück.

Heute weiß man, dass alles gut ausgegangen ist. Man weiß aber auch, dass wir damals am Rande eines Krieges standen. Als Zeitzeuge wird mir der sogenannte Prager Frühling, bzw. der 21. August 1968 und die Monate danach immer in Erinnerung bleiben.

Verfasser: Franz Schimpl, Lärchenfeld, 4261 Rainbach i. M.

Ich hatte am Mittwoch, dem 21. August 1968, auf dem Hauptpostamt in Linz in der Briefzustellung, Abteilung Porto, Frühdienst. Mein Dienst begann offiziell um 6 Uhr früh. Da ich selber mit meinem PKW von Sonnrberg nach Linz zur Arbeit fuhr, war ich an diesem Tag früher in meiner Abteilung. Ich begann gleich einige Minuten vor 6 Uhr mit meiner Arbeit. Ein Kollege der Nachtdienstpartie hatte neben seinem Arbeitsplatz ein Radio stehen, das er gerade um sechs Uhr aufdrehte. Als ich zu meinem Arbeitsplatz gehen wollte, hörte ich bei den Nachrichten, dass sich in der CSSR etwas Großes ereignet hatte. Einige Minuten später erfuhren wir auch, dass die Russen in der Tschechoslowakei einmarschiert waren. Alle, die wir Dienst hatten, unterbrachen die Arbeit und verfolgten im Radio die Geschehnisse in unserem Nachbarland mit versteinerter Miene. Ältere Kollegen, die schon fünfzig Jahre und darüber waren, hatten große Angst, denn sie hatten den Zweiten Weltkrieg voll mitgemacht. Sie sagten: „Wenn der Russe die Grenze überschreitet, haben wir den dritten Weltkrieg.“ Wir Jüngeren meinten: „Wenn es dazu kommen sollte, müsst ihr wenigstens nicht mehr einrücken.“ Es herrschte überall, wo man hinkam, eine angespannte Stimmung. Das einzige Thema war, wo man Leute traf, der Einmarsch der Russen. Als ich am späten Nachmittag nach Hause fuhr, standen bei der Berufsschule in Freistadt viele Tschechen mit ihren Autos. Sie hatten eine Fahrt in unser Land gemacht, weil sie Jahre lang nicht zu uns kommen durften und nun neugierig waren, was sich bei uns so tut. Unter Dubceks Reformkurs war es ihnen seit kurzer Zeit erst möglich, dies zu machen. Nun aber nach dem Einmarsch der Russen wollten sie vorerst nicht mehr nach Hause fahren. Nächsten Tag waren es noch mehr wartende tschechische Staatsbürger. Im Turnsaal der Schule wurden Matratzen aufgelegt, wo sie nächtigen konnten. Ich konnte beobachten, wie Tschechen mit kleinen Radios aufs Ohr gedrückt Nachrichten horchten. Am 25. August, dem erste Sonntag nach dem Einmarsch, fuhren sehr viele Leute und ich mit meiner Frau damals noch ledig auf den Hiltschenerberg, wo jetzt das kleine Kirchlein Maria Schnee steht. Viele schauten mit ihren mitgebrachten Ferngläsern hinüber zu unserem Nachbarn. Ein Jäger lieh mir sein Fernglas und ich konnte Soldaten sehen, die mit bellenden Hunden im Grenzbereich zu Österreich marschierten. Ein komisches Gefühl überkam mich, denn es war keine Übung mehr, sondern pure Realität.

Gemeinde Rainbach
1968
Verfasser

Konsulent Franz Schimpl, Lärchenfeld, 4261 Rainbach i. M.
Robert Reindl, (geb1943), Sonnberg 16, 4240 Freistadt

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