Erdäpfel graben und der Herr Schulinspektor

Erdäpfel graben und der Herr Schulinspektor.

Der Herbst ist die Zeit der Ernte. Da sagt eines Tages der Herr Oberlehrer zu uns: „Morgen nehmt ihr keine Schultasche mit, da nehmt ihr eine Haue mit!“ Wir ahnen schon, was kommen wird. Zur Schulliegenschaft gehört nämlich ein großer Garten – fast ein kleiner Acker – auf diesem hat unser Herr Oberlehrer mehrere Reihen Kartoffeln gepflanzt – oder pflanzen lassen. So freuen wir uns, dass es nächsten Tag keinen „Unterricht“ geben wird, sondern wieder eine „direkte Naturbegegnung“.

Am nächsten Tag gehen wir – sichtlich schneller als sonst – statt mit einer Schultasche auf dem Rücken, mit einer Haue auf der Schulter zur Schule. Am Nachmittag des Vortages hat der „Piringer“, der Herr Preinfalk zum leichteren Ausgraben die Kartoffelreihen schon umgeackert. Wir können es kaum erwarten, mit dem Kartoffelgraben zu beginnen und sind bald mit Feuereifer bei der Sache.

Und schon naht ein Unheil – nämlich in Form eines Schulaufsichtsbeamten. Als einer der Schüler zufällig aufschaut, sieht er, dass eine Person mit markantem, militärischem Schritt auf dem alten Kirchensteig von Rainbach her, durch die „Purwiese“ herauf, der Schule zusteuert. „Bitte, Herr Oberlehrer, da Schulinspekta kimmt!“ ist der Schreckruf, der bei allen – auch beim Herrn Oberlehrer – das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Als erstes fasst sich der Herr Oberlehrer – dafür ist er auch Oberlehrer: „Sofort in die Klasse!“ Wir lassen alles zurück, flüchten wie aufgescheuchte Hühner in die Klasse und erwarten das Ende. Angesichts der nahenden Katastrophe erstirbt alles Leben. Es ist so still wie sonst nie und aus den Sekunden werden wieder Stunden. Draußen hören wir jetzt die Schritte, wir hören, wie sie die Treppe hinaufsteigen, hören das Knarren der Schultüre. Dann klopft es an der Klassentür. „Herein!“

In dem Augenblick, in dem sich die Tür öffnet, springen wir auf, um mit einem himmellangen „Grüüüüüüüüüüüüüüüß Gott!“ den Herrn Schulinspektor doch noch gnädig zu stimmen. Er wendet sich zuerst mit einem militärisch exakten kurzen „Grüß euch Gott, Kinder!“ an uns, um sich dann an den Herrn Oberlehrer zu wenden, dessen Gesichtsfarbe mittlerweile einem Toten nicht unähnlich ist. „Bitte, Herr Kollege, fahren Sie mit dem Unterricht fort!“ Aber wie soll er fortfahren, wenn wir überhaupt nichts mithaben und draußen noch die Hauen im Kartoffelacker stecken? Er stammelt etwas, ich weiß nicht mehr was, und so übernimmt der Herr Schulinspektor die Situation und beginnt das kleine Einmaleins zu prüfen. Und wen ruft er zur Prüfung auf? Ausgerechnet diejenigen, von denen wir alle wissen, dass sie kaum eine Ahnung davon haben. Die Situation eskaliert!

„Bitte, Herr Kollege, kommen Sie mit!“ Auf dem Gang vor dem Klassenzimmer hört man nun nur noch die peitschenden, militärischen Töne des Herrn Schulinspektors; unser Herr Oberlehrer ist vollkommen verstummt und tut uns eigentlich leid. Kreidebleich kommt er nach einiger Zeit zurück nachdem sich der Herr Schulinspektor – von uns respektlos „Speckknödel“ genannt – wieder entfernt hat. Niedergedrückt und gedämpft ernten wir die restlichen Kartoffeln.

Zulissen
1950-1959
Verfasser

Hubert Kolberger (1948-2023)
Summerauer Straße 29
4261 Rainbach i. M.

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