Das Findelkind

Das Findelkind.

Es war der 20. April 1900, da kam in Wien das kleines Mäderl Luise zur Welt. Wem gehörte dieses Wesen? Wer waren seine Eltern? Das Kind erfuhr nie, wer seine Eltern waren. Es wuchs in einem Kinderheim in Spitz an der Donau auf. Es erinnerte sich später, dass öfter ein etwas älterer Herr zu ihm kam. Er hatte einen Spitzbart und gütige Augen. Er erzählte ihr manchmal eine kleine Geschichte und brachte auch immer ein kleines Geschenk mit: Orangen oder Schokolade. Er sagte aber dem kleinen Mädchen nicht, wer er sei. Das Mäderl freute sich immer sehr und konnte diesen freundlichen Besuch von einem zum anderen Mal kaum erwarten. Doch die Zeit eilte und schnell vergingen die ersten sechs Lebensjahre. Der Gastwirt Johann Gruber aus Spitz hatte die Vormundschaft für das Mädchen übernommen. Nun musste es in die Schule, aber wohin? Der erste Schmerz kam über die kleine Luise, weil man sie dazu weit weg bringen wollte. Vielleicht weil sie niemals erfahren sollte, wer ihre Eltern waren. So brachte man das sechs Jahre alte Kind ins Mühlviertel nach Rainbach in ein Kloster. Da waren ja mehrere kleine Schülerinnen untergebracht. Natürlich fehlte ihm das gewohnte Zuhause und auch der gute Onkel kam nicht mehr. Oft weinte es, aber das half alles nichts. Sie musste ja bleiben. Nun hatte sie ja niemanden als die Schwestern, welche die Kinder betreuten. Jetzt musste sie zur Schule gehen.

Es dauerte aber eine lange Zeit, bis sie richtige Schulfreundinnen fand. Manchmal musste sie auch Beschimpfungen hinnehmen wie z.B. Bist ja eh nur ein Findelkind von irgendwo her. Es war für sie besonders hart zu verstehen, was das heißt, keine Eltern zu haben. Warum eigentlich? Nun, in der Schule ging es halbwegs gut. Sie bekam ein gutes Zeugnis. Das war auch für die Schwestern eine Freude und sie hatten sie auch lieb. So ging auch wieder Jahr um Jahr vorüber und sie wurde vierzehn Jahre. Die Schule war für sie aus. Nun hieß es zurück nach Wien oder Spitz. Sie wusste ja selber nicht, was aus ihr werden sollte.

Ihr Vormund Gruber holte sie ab und fuhr mit ihr mit dem Zug nach Spitz. Sie sollte dort in seinem Gasthof als Stubenmädchen arbeiten. Die Wirtsleute taten ihr schön und waren auch sehr gut mit ihr und sagten zu ihr, dass sie so lange bleiben könnte, so lange sie wolle. Eine Woche ging alles gut. Nun kam aber das Heimweh nach Rainbach, zu den Kindern, mit denen sie aufgewachsen war. Die Wirtsleute versuchten alles, um sie zu trösten, aber sie weinte und weinte, konnte nicht mehr arbeiten und aß auch nichts. Da nahm der Wirt (der Vormund) ihr kleines Pinkerl, kaufte ihr noch Schuhe und ein Kleiderl und ging dann mit ihr zum Bahnhof. Er zahlte für sie die Fahrkarte und übergab sie dem Schaffner und schickte sie nach Summerau, wieder ins Mühlviertel. Als sie dort ankam und aussteigen durfte, rannte sie mir ihren Habseligkeiten so viel sie konnte, zurück in Kloster nach Rainbach. Die Schwestern schauten natürlich nicht schlecht und trauten ihren Augen nicht. Die Luise stand mit einem Brief von ihrem Vormund vor ihnen. Darin stand, dass mit dem Mädchen nichts anzufangen wäre und sie nur weint. Bitte nehmt sie wieder!

Nun kam es aber wieder anders. Die Schwestern erklärten ihr, dass sie nicht im Kloster bleiben könne. Einige Tage später ging eine Schwester mit ihr zu einem Bauern nach Lichtenau (Simmerl). Dort konnte sie als „kleine Magd“ arbeiten. Sie lernte dann auch bald andere Mädchen kennen und es gefiel ihr dort ganz gut. Natürlich gab es Arbeit genug, aber das machte ihr nichts aus. Die Bäuerin hatte sie recht gern und sie war wieder froh. Nach ein paar Jahren wechselte sie zu Lichtmess den Arbeitsplatz und kam zu einem Bauern ins Nachbardorf Passberg schon als „große Magd“. Sie war immer sehr fleißig und beliebt. Zwei Jahre später kam sie wieder zu einem anderen Bauern. Es war Lichtmess und wie es damals so üblich war, wechselte sie wieder den Arbeitsplatz. Sie kam in die Mühle im Dorf.

Rainbach i. M.
1910
Verfasser

Aloisia Affenzeller (geb.1921)
4240 Freistadt, Fadingerstraße 4

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