Bahnwächterhaus Nr. 724 (1934 bis 1950).
Josefa Schwaiger, geborene Rieger, erzählte bei einem Interview dem Heimatverein Rainbach die Geschichte ihres Vaters, des Bahnwärters Anton Rieger und ihre Erinnerungen an das Leben ihrer Familie im Bahnwärterhaus Nr. 724 bei Deutsch Hörschlag (Postadresse Deutsch Hörschlag Nr. 27 ):
Vater Anton stammte eigentlich als Sohn eines Strohdachdeckers und einer von vier Brüdern aus Hellmondsödt ab und arbeitete nach der Schule am Erzberg in Eisenerz. Hier lernte er meine Mutter, die Eisenbahnertochter Aloisia, kennen und heiratete diese 1921. Von Mutter gedrängt, doch eine Anstellung bei der Bahn zu suchen, absolvierte er die Eisenbahnprüfung und erhielt einen Posten samt Wohnung am Bahnwärterhaus Nr. 91 in der Nähe von Hieflau. Die Enge des Tales im Gesäuse aber ließ Vater nicht richtig froh werden und so wurde in Linz um Versetzung in „sein geliebtes Mühlviertel“ angesucht und auch bewilligt. 1934 übersiedelte dann meine Familie in das Wächterhaus Nr.724 westlich Deutsch Hörschlag, Nähe der ehemaligen „Zulisser-Übersetz“. Der Umzug nach Deutsch Hörschlag erfolgte mit einem geschlossenen Eisenbahnwaggon, welcher zu passender Zeit bei unserem Wächterhaus Nr. 91 abgestellt und mit all den Habseligkeiten der Familie, wie Möbel, Hausrat, Brennholz, Tiere, etc. beladen, nach Hieflau verschoben wurde. Bei der an einen offiziellen Zug angehängten Abfahrt von Hieflau saßen dann auch meine Eltern und ich in diesem Waggon. Ich hatte Angst, Vater Anton könnte, mit hinaus hängenden Füssen in der offenen Waggontür sitzend, hinausfallen. Doch nach länger dauernder Zugsfahrt kamen wir wohlbehalten am Bahnhof Summerau an. Hier wurden die „Geissen“ ausgeladen und der abgekoppelte „Umzugswaggon“ in einem verkehrsfreien Zeitfenster zu unserer neuen Bleibe, dem Wächterhaus Nr. 724 verschoben, dort mit Hilfe von Bahnbediensteten zügig entladen und danach wieder in den Bahnhof Summerau retourniert. Die ausgeladenen „Geissen“ trieb Mutter vom Bahnhof, entlang der Bahnlinie bis zum Wächterhaus.
Die Eisenbahn stellte uns nebst dem Wärterhaus mit Brunnen und Gemüsegarten auch soviel Grund zur Verfügung, dass eine komplette Selbstversorgung möglich war. Unser Tierbestand waren etwa 10 Geissen, bis zu 20 Kitze, Hühner, Enten, Hasen und ein Schwein. Für die Tiere gab es westlich vom Wärterhaus einen isolierten Ziegenstall. Hier war auch das „Plumpsklo“ in eine Senkgrube, eine „Strohluke“ sowie ein oberer „Strohboden“. Die Eisenbahn errichtete sogar eine neue Scheune für uns.
Das Wächterhaus selbst, war ein Normalwächterhaus, 4,7 x 9,7m groß, gemauert und in drei Räume mit insgesamt 40m2 unterteilt: Es hatte einen kleinen Vorraum mit einem Fenster. Dieser hatte eine Falltür in den darunter liegenden Keller und durch eine Deckenklappe konnte über eine Leiter der Dachboden begangen werden. Hinter der Haustür gab es einen Kastenverbau für Rahm und anderes. Der zweite Raum war eine Wohnküche mit einem Fenster in Richtung Gleise. Hier stand vorerst ein nur schlecht funktionierender Kachelherd, der von der Bahn erneuert wurde und danach sehr gut funktionierte. Dann waren an der Fensterseite ein Sofa, eine Kredenz und ein Tisch mit zwei Sesseln. An der gegenüber liegenden Wand stand neben dem Ofen ein „Küchenkastl“, ein Stockerl mit dem Lavoir und ein weiteres „Kastl“ mit dem Milchseparator. Ein großes Schlafzimmer war der dritte, größte Raum. Dieser war eingerichtet mit einem von uns gekauften Ofen, einem Doppelbett, Nachtkästchen, mit meinem Gitterbett, zwei Kästen, einem Tisch mit zwei Sesseln und einer Truhe für Äpfel. Mein Gitterbett wurde später durch ein schönes Messing-Einzelbett ersetzt. Die Äpfel in der Schlafzimmertruhe kamen aus Schloß Haus. Dort brachte sie Bauer Stegfellner in Säcken zur Haltestelle und vom Bahnhof Summerau wurden sie von uns mit dem „Radlbock“ („Tragatsch“) zum Wächterhaus transportiert. Alle Räume hatten einen Holzfußboden.
Als Beleuchtung gab es die ganze Zeit nur Petroleumlicht, eine sehr „heimelige Beleuchtung“ und geheizt wurde mit den von der Bahn beigestellter Kohlen. Wasser wurde mit dem „Wasserruder“ der hölzernen Rohrpumpe aus dem Brunnen neben dem Wächterhaus gepumpt und mit dem Eimer ins Haus getragen. Waschen und Baden war in der Wohnküche angesagt. (Waschen im Lavoir und Baden im Holzschaff.)
Meine Eltern haben aus dem Wächterhaus ein richtiges „Schmuckkästchen“ gemacht. Da war die Blumenpracht im Garten und in den Blumenkisterl, der schöne Gartenzaun, der gepflasterte Weg ums Haus und der nette Gartentisch mit Bank und Sessel vor dem Haus. Der Briefträger sagte immer, er würde jetzt wieder zu uns „ins Blumental“ kommen. Der Briefträger kam meist zu Fuß, im Sommer manchmal mit dem Fahrrad. Pakete wurden von ihm mit einem Zettel avisiert und waren bei der Post in Rainbach abzuholen. Damals versendeten die Leute noch Glückwunschkarten. Sogar zwei Verschönerungsurkunden erhielten wir von der Eisenbahn überreicht: eine im Sommer für die Blumen, etc. und eine im Winter für den tadellosen, sauberen Zustand des Wächterhauses mit Zubauten.
Neben dem Wächterhaus stand die hölzerne Diensthütte mit ihrem hinten angebaute Kohlekeller. Dank der Sprossenfenster an allen vier Seiten und sogar in der Tür, war die Diensthütte innen sehr hell. Als Einrichtung waren da ein Tisch mit Telefon und Dienstbuch, zwei Sessel, eine lange Bank, die auch nachts zum Rasten genutzt werden konnte, und ein Ofen. Für die Beleuchtung sorgte eine Karbidlampe. Hier verrichteten mein Vater und die anderen Bahnwärter ihren Dienst. Ihnen wurde die Abfahrt von Zügen vom Abgangsbahnhof mit Klingelsignal „angeläutet“ und zusätzlich auch per Telefon angemeldet.
Die Bahnwärter hier hatten die Schranken beim Wächterhaus, bei der „Zulisser-Übersetz“, der „Glasner-Übersetz“ sowie der „Seppenbauer-Übersetz“ zu betätigen und bei der Vorbeifahrt der Züge in voller Adjustierung mit roter Signalfahne, nachts mit angezündeter Signallaterne, „habt acht“ draußen zu stehen und den Zug auf Unregelmäßigkeiten zu kontrollieren (z.B. Vorhandensein des Schlusslichtes, Schäden, etc.). Alle Züge und Vorkommnisse mussten penibel ins aufliegende Dienstbuch eingetragen werden und natürlich hatte der Wärter auch seinen zuständigen Streckenbereich zu überwachen und zu inspizieren. Zu den Aufgaben meines Vaters gehörten weiters den Bahngrund zu pflegen, Wasser„zu kehren“ und im Bereich der Diensthütte und des Wächterhauses Schnee zu räumen. Im Winter wurden die Gleisanlage und die Bahnübergänge von der Bahn vom Schnee geräumt. „Bahnwärter hatten eine ganz fesche, schöne Dienstuniform und im Winter dazu auch einen schönen dicken Rock, innen mit dunklem Lammfell ausgefüttert – ich habe mir diesen Rock, mit Fell nach außen gekehrt, manchmal zum „Krampusgehen“ geliehen. Die Dienstzeiten für Bahnwärter waren ein 16 Stunden-Turnus mit 16 Std. Dienst und 16 Std. frei. Außer meinem Vater verrichteten als „Ablöser“ unter anderem auch die Herren Oppenauer, Punz aus Kerschbaum sowie Glasner von einem Nachbarwächterhaus hier Dienst und nach dem 2. Weltkrieg ein Herr Pflügl.
Mehrmals jährlich kam aus Wien der Bahninspektor mit der Draisine vom Bahnhof Summerau heraus zu unserem Wächterhaus bzw. der danebenliegenden Diensthütte der Bahnwärter.
Das Telefon in der Diensthütte brachte auch den Vorteil, dass, wenn ein Arzt gebraucht wurde, man am Bahnhof Summerau anrief und von dort der Arzt in Rainbach telefonisch angefordert wurde. Manchmal kam auch der Eisenbahnarzt Dr. Weiß mit der Draisine heraus zum Wächterhaus.
In der Diensthütte bei Vater durfte ich mich nur selten aufhalten. Weil es hier so hell war, war es hier sehr gut zum Lesen und Hausaufgaben machen.
Mutter und ich bekamen zwei Freifahrtskarten pro Jahr und Vater als Bahnbediensteter bekam sechs. Ansonsten konnten wir „Regie“ fahren, das heißt sehr günstig mit der Bahn reisen.
Unsere Nachbarn waren die Wächterhäuser Minichberger in Richtung Tschechien und Glasner in Richtung Summerau. Ich habe diese Nachbarn hin und wieder besucht und der Frau Minichberger bei Abwesenheit sogar auf das Haus und die Kühe „geschaut“.
Am Heiligen Abend hat manchmal der diensthabende Wächter an unser Fenster geklopft und uns „Frohe Weihnachten“ gewünscht.
Vor dem 2. Weltkrieg war das Leben am Wächterhaus sehr schön.
Beim Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in die Tschechoslowakei mussten wir vorsichtshalber für eine Nacht das Wächterhaus verlassen und am Bahnhof in Summerau schlafen.Nach dem „Einmarsch“ sind wir Neugierde halber einmal zu Fuß zum nächsten Wächterhaus in der Tschechei gegangen. Für mich war das furchtbar. Da waren die Leute wohl beim „Einmarsch“ vom Mittagstisch weg geflohen, sogar die kalte Nudelsuppe stand noch auf dem Tisch.
Ab 1938 besuchte ich vier Klassen Volksschule in Rainbach. Die Frau Scherb war meine „Firmgodn“. Zu ihr bin ich jeden Tag mittags eine Suppe essen gegangen
Im Krieg war dann kein Tag wie der andere. In der Schule machten wir Luftschutzübungen. Dabei mussten wir durch die Fenster die Klassen verlassen und in die Keller laufen. Und aus Angst vor Fliegerangriffen auf den Bahnhof Summerau haben sie sogar eine Dampflok bei unserem Wächterhaus abgestellt. Mit dem Risiko, dass bei einem Angriff auf die Lok das Wächterhaus mit Sicherheit zu Schaden gekommen wäre. Mutter hat sich daraufhin so lange beschwert, bis sie die Lok abgezogen und im „Minichberger-Einschnitt“ versteckt haben. Sogar die Bomben auf Linz konnte man hören und der sonst so gerne gesehene Briefträger war jetzt von allen „gefürchtet“, denn allzu oft bracht er schlechte Nachricht von Gefallenen an der Front. 1942 bin ich, wie auch die Kinder aus Zulissen und Deutsch Hörschlag, in die Hauptschule Böhmisch Hörschlag gegangen. Wir haben dies der Schule in Freistadt vorgezogen, da der Weg dorthin viel weiter gewesen wäre. In dieser Zeit wurde mit dem Fahrrad nach Rainbach zur Kirche gefahren. Einmal, von amerikanischen Tieffliegern überrascht, schaffte ich es nicht mehr bei der Hörschläger-Straße unter das Pferdeeisenbahnviadukt. So habe ich das Fahrrad weggeworfen und mich auf den Rücken in die Wiese gelegt. Und die Tiefflieger haben einige „wilde“ Überflüge gemacht, aber nicht geschossen! Bei Kriegsende 1945 wurde ich nach drei Klassen Hauptschule „ausgeschult“ und die Schule in Böhmisch Hörschlag wurde aufgelassen. Und jetzt kamen auch die Flüchtlingsströme, „Banat-Deutsche“ auf ihren Wägen. Die Wiesen waren mit Wagen voll gestellt und alle haben um Essen und vor allem um Wasser gebettelt. Es waren so viele,dass sogar der Brunnen beim Wächterhaus nicht mehr genug Wasser liefern konnte. Als die Bahnlinie noch Demarkationslinie war, waren das Wächterhaus und die Diensthütte noch im amerikanischen Sektor. Ich erinnere mich, dass uns die Amerikaner beschützt haben und wenn sie einmal ins Haus kamen, dann haben ich mit ihnen sogar Karten gespielt. Den Russen haben die Amerikaner erlaubt, die auf amerikanischem Gebiet befindliche Diensthütte als Wachhütte zu benützen.
Meine Eltern haben sich noch vor der Pensionierung von Vater in Freistadt ein kleines Haus gekauft, dieses hergerichtet bzw. umgebaut und 1950, als mein Vater Anton Rieger in Pension ging, bezogen. Unser Wächterhaus wurde in Folge von der Familie Payer aus Deutsch Hörschlag bezogen.
Diese Geschichte wurde aus Informationen zweier Interviews (2019 und 2020) mit Josefa Schwaiger vom Autor zusammengestellt.
Fotos
Verfasser
Ing. Johann Lonsing, Summerau Mitte 23, 4261 Rainbach i. M.
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