Wechselvolle Geschichte des Pferdebahnhofes Kerschbaum.
Wenn man auf der Straße von Rainbach Richtung Kerschbaum fährt, sieht man schon von weitem linkerhand ein imposantes Gebäude.
Dieses Bauwerk diente in den Jahren 1835 bis 1872 in erster Linie als Pferdeeisenbahn-Station. Dieses gab es jedoch zu Beginn des Pferdeeisenbahn - Bahnbetriebes 1830 noch nicht. Es wurde wahrscheinlich schon bald ein gemauertes Gebäude mit Stallungen, Diensträumen und einer Ausschank errichtet, da es bereits Pläne von einem Umbau aus dem Jahr 1834 gibt. Aus Dokumenten ist auch zu entnehmen, dass es ab 1834 eine Gastwirtschaft mit einem Wirt Fürlinger gab.
In den Jahren 1837/38 wurde das Gebäude erweitert, weil dies der steigende Verkehr erforderte. Da Kerschbaum auf halber Strecke zwischen Budweis und Linz lag, wurde hier eine Mittagspause eingelegt, um sich die Füße vertreten zu können oder um ein Mittagessen einzunehmen. Im Gebäude gab es hierfür zwei Speisesäle, eine Ausschank, eine Küche und einen weiteren Raum, der dem Wirtshaus diente. Im ersten Stock befanden sich drei weitere Räume und die Wohnung des Wegmeisters (zwei Zimmer und eine Küche). Die erdgeschossigen Stallungen waren für 48 Pferde eingerichtet. Im Westen schloss sich in Fortsetzung und Höhe der Stallungen ein Gebäudeteil an, von dem man glaubt, dass er als Schmiede diente. Der Stalltrakt wurde 1852 für ein Hafer- und Heumagazin aufgestockt und an der Südseite ein weiterer Stalltrakt errichtet.
In unmittelbarer Nähe des Stationsplatzes stand das Wachthaus, in dem der Bahnwächter lebte.
Am 15. Dezember 1872 wurde der Pferdeeisenbahnbetrieb eingestellt. Das freistehende Stationsgebäude in Kerschbaum erwarb der damalige Rainbacher Bürgermeister Mathias Ferster um 1.800 Gulden und übergab es der Gemeinde für ein Gemeindearmen - Versorgungshaus.
"In der Folgezeit wohnten zeitweise bis zu acht Familien auf engstem Raum beieinander. Da diese Familien zum größten Teil aus mehreren Personen bestanden, das Raumangebot aber pro Familie höchstens zwei Zimmer umfasste, musste das Vorhaus für das Abstellen bestimmter Möbelstücke herhalten. Meistens bestand dieses Mobilar aus Truhen, in denen unter anderem auch Lebensmittel aufbewahrt wurden. Familien mit mehreren Kindern hatten besonders unter den beengten Platzverhältnissen zu leiden. Manche der Kinder, die hier aufgewachsen sind, machten Nacht für Nacht Bekanntschaft mit der unteren Lade des Schubladenkastens, in der sie schlafen mussten. Natürlich gab es in diesen räumlich begrenzten Zimmern auch keinen Platz für eine Badewanne. Ein "Holzschaffl" oder eine Waschschüssel wurden zu diesem Zweck verwendet. Das Wasser zum Kochen und zum Waschen musste vom Brunnen außerhalb des Hauses mit Eimern in die jeweiligen Wohnungen geschleppt werden
Im ehemaligen Pferdestall wurden von einigen Bewohnern Ziegen und Schweine gehalten.
Durch die doch sehr lange Benützung des Gebäudes als Gemeindearmen-Versorgungshaus lebten natürlich viele Menschen darinnen. Unter ihnen waren auch die verschiedensten Berufe vertreten . Viele machten sich ihr Talent und ihren "natürlichen Instinkt zum Überleben" zunutze.
Dieses große Gebäude zu erhalten, war die Gemeinde nicht in der Lage. Deshalb entschloss man sich, das desolate Gebäude im Jahre 1942 an die Firma Haberkorn zu verkaufen. Dadurch änderte sich für die Bewohner einiges. Die Fassade des Hauses wurde ausgebessert. Für die Haustiere der Bewohner wurden eigene Holzverschläge gebaut, denn der ehemalige Pferdestall wurde für die Verarbeitung von Flachs benötigt. Rund um das Versorgungshaus herrschte nun betriebliche Hektik. Ein Verwalter übernahm die Geschicke des Hauses. Sein Name war Giebner. Seine Aufgabe war, die Flachsbearbeitung von der Aussaat bis zur Ernte und bis zur Verarbeitung zu überwachen. Viele Bewohner und besonders die Bewohnerinnen von Kerschbaum und vom Gebäude selbst wurden bei der Flachsbearbeitung beschäftigt. Immer mehr wurden nun die Wohnungen für betriebliche Interessen benötigt, sei es für Beschäftigte oder für betriebliche Verwendung." (1) Die Bewohner im Pferdebahnhof wurden immer weniger, weil sie entweder gestorben waren, wegen ihres Arbeitsplatzes wegzogen oder selber ein Haus bauten. Die Räumlichkeiten wurden von der Firma Haberkorn nun meist nur mehr als Abstellräume genutzt. Auch die Fassade bröckelte immer mehr ab.
Von 1964 bis 1976 pachtete die Firma Stanzel den Stall und den darüber liegenden Heuboden für eine Hühnermästerei. Der Verfall des Hauses setzte wieder ein. 1970 waren im Dach Löcher, durch die Feuchtigkeit ins Haus eindrang und in den Gewölben der ehemaligen Stallungen Schäden anrichtete.
Der Verschönerungsverein der Gemeinde Rainbach konnte mit finanzieller Unterstützung des Landes Oberösterreich im Jahr 1975 das Dach umdecken und zum Teil erneuern lassen und so den Verfall des noch immer in Privatbesitz befindlichen Gebäudes stoppen.
Anlässlich des Baues der West-Austria Gasleitung pachtete die Firma SPIE-CAPAC in den Jahren 1978/79 das Gebäude. Die Räume im ersten Stock des Wohngebäudes wurden als Büro genutzt und die Ställe als Lagerräume, bzw. als Werkstätte. Man räumte die Brandruine der Schmiede weg und brach auf der Westseite der südlichen Stallungen ein großes Tor aus.
Ab 1984 zog ein provisorischer Tischlereibetrieb ein, der dann in der Folge ein Schulungszentrum des „Mühlviertler Vereines für Arbeit und Ausbildung“ wurde.
1989 beschlossen die Gemeindevertreter von Rainbach den Ankauf dieses historischen Objektes. 1993 pachtete der neugegründete Verein „Freunde der Pferdeeisenbahn“ mit dem visionären Obmann Walter Mayr das Gebäude und sanierte noch im gleichen Jahr das Dach und im darauffolgenden Jahr die Fenster und die Außenfassade.
Im Jahr 1995 errichtete man einen Zubau im Westen und renovierte die Gewölbe der Stallungen. Im nördlichen Teil der Stallungen richtete man 1996 ein Museum zur Geschichte der Pferde-eisenbahn ein. Die Gaststätte und die WC-Anlagen wurden fertiggestellt. Zugleich rekonstruierte man ca. 450 m der ursprünglichen Strecke, auf der man in zwei orginalgetreu nachgebauten historischen Wagen eine Spazierfahrt unternehmen kann. Dies alles war nur möglich durch die finanzielle Unterstützung der Gemeinde, des Landes Oberösterreich, der Europäischen Union, von Sponsoren und vieler freiwilliger Helfer und Vereinsmitglieder.
Quelle:
(1) Konrad Stauder - Ausschnitt des Beitrages "Der Pferdebahnhof als Armenhaus" im Buch "Von der Dorfmauer bis zur Fensterlucka" nach Gesprächen mit Maria Kadlec und Familie Kubicka, ehemalige Bewohner des Pferdebahnhofes.
Fotos
Verfasser
Helmut Knogler, Labacher Straße 9, 4261 Rainbach i. M.
Info
Wir ersuchen um Ihre Mithilfe:
Bitte überlegen Sie, ob Sie nicht auch ein interessantes Gebäude oder Bauwerk wissen, das Geschichte(n) erzählt. Vielleicht ist es gar Ihr Haus, in dem Sie wohnen. Wenn ja, dann bitte per WhatsApp mit dem Obmann Johann Lonsing 068181326125 oder dem Obmann-Stellvertreter Helmut Knogler 06802167484 Kontakt aufnehmen oder diesen anrufen.